Was schon im August der ZVEI, Zentralverband der Elektrotechnik- und Elektronikindustrie, für die erste Hälfte dieses Jahres bestätigte, gab auch das Resümee der productronica-Fachmesse 2017 in München nach Toresschluss wieder: der Markt boomt wie nie zuvor, mit besten Wachstumsraten. Dennoch zeigt sich das Bild der Branche uneinheitlich.
„Es waren zumeist strahlende Gesichter, die ich auf der Messe sah. Die Wirtschaftslage des wohl überwiegenden Teils der EMS-Dienstleister hat volle Bücher und die Bilanzen stimmen“, weiß Matthias Holsten, Branchenexperte in der Hightech-Elektronikfertigung bei Messeschluss zu berichten. Doch er machte auch Veränderungen aus, die gerade OEM-Auftraggeber zu ungewohntem Handeln zwingen. „Ein hohes Auftragsvolumen führt zwangsläufig dazu, die Fertigung von Prototypen und Kleinstserien nicht mehr prozessadäquat bei EMS-Auftragnehmern unterzubringen. Auffällig war für mich zu hören, dass vermehrt OEMs nach Fertigungsmaschinen Ausschau halten – und zwar nach gebrauchten.“ Den Grund dafür sieht der Berater Holsten der Situation geschuldet, bei einem relativ prozessintensiven und überschaubaren Umsatzvolumen mit Prototypen von den gut ausgelasteten Elektronik-Fertigern „auf die lange Bank geschoben“ zu werden: „Das schnelle Geld lockt und wird gerade mit ganz anderen Stückzahlen bei der Leiterplattenproduktion gemacht. Die Digitalisierung der Branche verstärkt noch den Trend.“ Die in Zeiten der Hochkonjunktur zwangsläufig langen Wartezeiten bei der Bauteilbeschaffung erschweren OEMs zudem noch den Prozess, die eigenen Kunden fristgerecht zu bedienen. So greifen Entwickler daher vermehrt zur Eigenproduktion. „Es kommt zum zeitversetzten Bumerang-Effekt“, so Holsten. Als Folge der Vernachlässigung besteht bei EMS-Betrieben so die Gefahr, dass dadurch festgeglaubte Umsatzterrains in Zukunft fehlen, bestimmte Auftragsvolumen dann nicht mehr extern vergeben werden, wenn die Konjunktur wieder sinkt“, meint der Hamburger Mattias Holsten, Inhaber und Geschäftsführer der e²consulting GmbH, „Entwickler, die sich erst mal auf einen eigenen Bestückungspark eingestellt haben, wollen den auch amortisiert wissen. Letztendlich ist ein derartiges Verhalten für beide Seiten langfristig kein Gewinn. Man vergisst das Prinzip, dass die Konzentration auf Kernkompetenzen letztendlich profitabler ist.“
Und dann gebe es noch jene, vornehmlich kleinere EMSler zu verzeichnen, meint Holsten, die den Zug der Zeit schlichtweg verpassen: „Es gibt leider Gottes immer noch Bestückungsunternehmen, die, trotz guter Konjunktur, mit der Leiterplattenfertigung keinen gesunden, entwicklungsfähigen Deckungsbeitrag erwirtschaften. Das ist keine Frage des Standorts oder der nicht vorhandenen Chance, in den Markt zu gelangen. Das ist, wie ich das immer wieder feststelle, schlichtweg fehlendes unternehmerisches Kalkül.“