„Der Hunger nach smarten Produkten wird EMS-Unternehmen nähren. Nur die kleinen nicht“
Matthias Holsten, Unternehmensberater in der Hightech-Elektronikbranche, feiert mit Beginn dieses Jahres mit der e² consulting GmbH sein zehnjähriges Bestehen. Anlässlich dieses Jubiläums äußert sich der Mitbegründer des „EMS SCOUT“, dem größten Suchportal für EMS-Dienstleistungen im europäischen Raum, im Rück- und Vorausblick zu den Kräften des Marktes. Insbesondere gilt dabei seine Sorge den klein- und mittelständischen Servicebetrieben im deutschsprachigen Raum.
Der EMS-Markt ist tot, es lebe der EMS-Markt
Es ist nicht der Niedergang des Marktes für Bauteilverarbeitung, für Leiterplattenbestückung durch geringer werdende Auftragsvolumina, der dem berühmten Sprichwort zugrunde liegt. Eher das Gegenteil zeichnet sich ab: der Markt wächst. In den kommenden Jahren sogar ins Unermessliche, schenkt man den Zahlen Glauben, die das Statista-Institut verlautbaren lässt. Vor genau zehn Jahren, 2013, haderte die Technikwelt noch mit der Einführung von „Industrie 4.0“. WLAN-verbundene Geräte hielten bis dahin höchstens im privaten Konsumbereich Einzug in die heimischen Stuben. Vergegenwärtigt man sich jedoch der 15 Milliarden Aggregate, die bereits 2015 Internet vernetzt in der Industrie ihren Dienst verrichteten, die bis 2025 auf 75 Milliarden Geräte steigen wird, zeigt sich, welches astronomische Potential sich hier für den EMS-Markt auftut.
Es ist also mehr eine Frage der Perspektive, wie man das Leben und Sterben im Markt werten will. Fakt ist – und der Trend zeichnet sich schon seit gut drei Jahren ab – dass nahezu jedes dritte Unternehmen innerhalb von zehn Jahren trotz dieser immensen Chancen ein bitteres Ende nehmen wird. Das schafft Potenzial zur Fertigungsverlagerung und Marktbereinigung, geschürt durch Unternehmensaufkäufe der großen Spielemacher auf dem Markt. Sie geben den Takt vor, was die Servicepalette angeht, sie kennen sie Bedürfnisse ihrer OEM-Kunden bis ins Detail und haben das finanzielle und personelle Potenzial, um zu überzeugen, neue umsatzkräftige Klientel an sich zu binden.
Kleinere EMS wachsen mit dem Trend –
wenn sie ihre Stärken ausspielen
Bisweilen hält man es in den Reihen der EMS-Betreiber noch für eine kühne These, doch die Erfahrung der letzten zehn Jahre nährt den Verdacht, dass trotz aller Mühen eine nicht geringe Zahl an kleineren Elektronik-Dienstleistern es nicht schaffen wird. Sie werden sich dem wachsenden, jedoch zugleich in seinen Rahmenbedingungen verändernden Markt nicht anpassen können. Die Ursache dafür ist nicht primär den Auswirkungen der Allokationswellen, nicht der Wirtschaftsschwäche der jüngsten Vergangenheit und auch nicht primär der Corona-Pandemie geschuldet. Ursächlich hierfür sind vornehmlich die eigenen unternehmerischen Gegebenheiten, die sich über Jahre eingeschlichen haben:
* Vernachlässigung des Vertriebs: Die Zeiten, in denen ein Elektronikfertiger von zwei, drei Kunden im nahen Einzugsbereich die Existenz sicherte und der Vertriebsgedanke eher sporadisch angegangen wurde, sind längst vorbei. Das Neugeschäft initiativ voranzutreiben, ist nicht nur eine Frage der richtigen Besetzung dieser Position. Es ist mehr eine Frage der Haltung, die sich in den Reihen des Unternehmens als treibende, existenzsichernde Kraft implementieren muss.
* Personalmangel lässt die Unternehmen ausbluten: Es ist unbestritten: das eigentliche Kapital eines Unternehmens – und das gilt für EMS-Unternehmen gleichermaßen – ist ein fachlich geschultes und motiviertes Personal. Eher noch als so mancher Unternehmer es wahrhaben will, haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter innerlich gekündigt, sind auf der Suche nach einem anderen Arbeitgeber. Und oftmals ist es nicht das Gehalt, sondern eher die Anerkennung der Leistung, die zu wenig Beachtung erfuhr.
* Stafette übergeben – Altersnachfolge ist nicht geregelt: Mehr als die Hälfte aller EMS-Betriebe mit einem Umsatzvolumen von unter € 10 Millionen gehen erfahrungsgemäß die Nachfolgeregelung zu spät an. Oft wird der zeitliche Aufwand verkannt, den die Suche nach geeigneten Interessenten, die Trennung von Spreu und Weizen, in Anspruch nimmt. Ist danach noch eine weitere Runde zu drehen, spricht sich so etwas bisweilen negativ in der Branche herrum und Verunsicherung macht sich breit, bei Interessenten wie beim eigenen Personal.
* Erforderliche Investitionen in den Gerätepark – Kleinere knicken ein: Zu spät, zu gering, zu halbherzig in die Erneuerung eines Unternehmens investiert, so etwas birgt Gefahren, letztendlich nicht marktgerecht mithalten zu können. Die Anpassung an die Bedarfsentwicklung erfordert Weitblick, der im Tagesgeschäft zwangsläufig verengt wird.
* Kunden verlangen mehr Fertigungstiefe: Es darf einen EMS-Dienstleister nicht überraschen, dass ein Kunde „unverhofft“ wächst und er darauf nicht angemessen personell, maschinell oder nicht serviceadäquat reagieren kann. Kleine EMS-Betriebe sind hier über Nacht überfordert, müssen die Segel streichen – und sind aus dem Geschäft.
Das Gute daran ist: Zumeist sind derartige Probleme hausgemacht. Mit wohlüberlegten, vorausschauenden Gedanken strategischer Natur kann sich gerade ein kleineres Unternehmen bei bestimmten Voraussetzungen gut am Markt positionieren:
* Größe ist relativ – was eher zählt, ist die wahre Stärke: Das Argument der Großen der Branche lautet oft, dass die kleineren EMS-Anbieter langfristig kein stabiler Partner sein können, sie wären nicht flexibel genug. Folgt man als kleinerer Unternehmer dem Grundsatz, die Leistungskraft des eigenen Unternehmens mit den Bedürfnissen der OEMs abzugleichen und im gesunden Einklang zu wachsen, kann eine derartige Geschäftsbeziehung zu einer langfristig guten Bindung führen. Große EMS-Dienstleister sind, konzernbedingt, in ihrer unternehmerischen Zielvorgabe bisweilen fremdbestimmt, mit begrenzter Hinwendung dessen, was ein OEM von ihm verlangt. Die räumliche Nähe zum Kunden, das daraus resultierende bessere Verständnis für die Aufgabe und die flexible Hinwendung zur Lösung sind die wahren Stärken, die den kleineren Mitbewerber zum Lokalmatador werden lassen. Eine strategische Beratung kann hier unter Umständen hilfreich sein:
* Personalsuche und -pflege: Vermeiden, dass der Motor stottert: Der Markt an geeigneten Fachkräften ist leer, im gesamten deutschsprachigen Raum. Die Suche geriert so zum Verdrängungsmarkt, bei dem bei Wechselwilligen nicht nur das Gehalt die ausschlaggebende Rolle spielen darf. Insbesondere Fachkräften im Fertigungsbereiche, die nur bedingt zu größeren Ortswechseln bereit sind, sind andere bindungs- und standortfördernde Maßnahmen zu ergreifen, insbesondere, wenn eine ganze Familie sich ansiedeln will. Fühlt sich der Mensch wohl, schlägt er Wurzeln am neuen Ort.
* Fachliche Qualifikation: Nichts ist schwerer, als eine verlorene Fachkraft zu ersetzen, den Arbeitsplatz wieder adäquat zu besetzen. Dies gilt umso mehr, wenn, wie leider der EMS-Personalmarkt zeigt, nicht alle Berufsfelder von jungen Menschen als ausbaufähig und attraktiv gesehen werden. Sie zu motivieren, eine Ausbildung zu beginnen oder nach dem Berufsabschluss im Unternehmen zu bleiben, bedarf einer besonderen Hinwendung. Es gilt Einzelfall bezogene Angebote und Fördermaßnahmen auszuloten, mit denen das Unternehmen das Engagement des Einzelnen wertschätzt und seine Motivation bestärkt, zu bleiben. Ein Gedanke, als fester Bestandteil der Unternehmensphilosophie, von allen getragen und praktiziert.
* Alleine im Markt, auf hoher See – die Zeiten sind vorbei: Spätestens die letzten drei Krisenjahre haben gezeigt, dass es so nicht mehr weitergeht. Noch immer sind die Lieferketten gestört, die Investitionsreserven von Überlebenskämpfen aufgezehrt. Auch der anhaltende Trend, den EMS-Markt durch Firmenaufkäufe zu bündeln, setzt allmählich unter den zumeist mittelgroßen Elektronik-Fertigern den Gedanken frei, künftig Schulterschluss zu wahren, statt sich in Misstrauen und Argwohn zu isolieren. Nur wer die Auswirkungen globaler Probleme regional vereint anzugehen versteht, hat überhaupt noch eine Chance sich zu behaupten. So stellt man inzwischen die Rolle der Bauteil-Distribution auf den Prüfstand, sucht gemeinsam nach gesicherten Lösungen. Auch die Bildung von Leistungsgemeinschaften, in denen Aufträge kooperativ platziert und honoriert werden, sind glücklicherweise kein Tabu mehr. Wer Nähe und Austausch sucht, ist hier auf dem richtigen Weg.
Der Zenit des Leidensdrucks scheint erreicht, der Punkt, der zum Anders- und Umdenken zwingt, wenn es ans Eingemachte geht. Auf der letzten „electronica“ war dies zu spüren, auch weil die Zahl derer, die externe Beraterkompetenz suchen, noch moderat, aber signifikant steigt. Im Leid vereint bewahrheitet sich, wie so oft: Die Zukunft liegt im Dialog.