So verlief der Neustart des EMS-Forums in München
Nach fünfjähriger Pause startete das EMS-Forum wieder am 22. Juni 2023 in München. Dass diese Veranstaltung ein echter Geheimtipp war, lag an der Tatsache, dass die Teilnehmer ausschließlich persönlich eingeladen wurden. Inhaltlich ging es nicht nur um Technik.
Unter dem Motto „Cash is King“ luden die EMS-Marktforscher von in4ma zum EMS-Forum nach München ein. Entsprechend drehten sich die Themen neben der Technik auch um die Finanzkraft der EMS-Anbieter, um M&A-Aktivitäten sowie externe Einflüsse wie Zinsen und Inflation. (Bild: AdobeStock_402396663_niphon)
Das Konzept des EMS-Forums, organisiert von den EMS-Marktforschern von in4ma, basiert auf persönlicher Einladung. Meine Einladung erhielt ich in der Anfrage, ob ich nicht das Forum moderieren möchte und natürlich wollte ich. Knapp 120 Manager aus der EMS- und Leiterplattenindustrie sind dieser Einladung an einem extrem heißen Junitag in den klimatisierten Vortragssaal des Maritim-Hotels in München gefolgt. Das Motto des Events „Cash is king“ ließ schon im Vorfeld darauf schließen, dass es an diesem Tag nicht um neue Verfahren in der Elektronikfertigung gehen würde, sondern um die Finanzkraft der EMS-Anbieter, um M&A-Aktivitäten, um externe Einflüsse wie Zinsen und Inflation und um die Entwicklung der europäischen und weltweiten EMS-Industrie an sich.
Im Rahmen der aktuellen Diskussion, dass es mit der Stärkung der Europäischen Halbleiterindustrie nicht getan ist, stand am Nachmittag der Besuch des Center of Competence (CoC) von ASMPT in München auf dem Programm. Dort gab Sylvester Demmel, Senior Product Manager Placement Solutions von ASMPT, wertvolle Einblicke in Theorie und Praxis des Advanced Packaging und stellte die neuesten Entwicklungen und Innovationen in diesem Bereich vor. Im Anschluss an den Vortrag konnte in einer Live-Vorführung das direkte Abnehmen vom Wafer in Kombination mit hoher Bestückungsgeschwindigkeit und Präzision im Center of Competence erlebt werden.
Echte EMS-Zahlen
Für den darauffolgenden Konferenztag versprach Dieter Weiss von in4ma, der wirklich jeden einzelnen Teilnehmer persönlich kennt, Folgendes: „Es erwartet Sie eine Reihe interessanter und informativer Vorträge. Ich garantiere: Keine Werbevorträge, keine begleitende Ausstellung im Foyer. Wir konzentrieren uns auf makroökonomische Entwicklungen, die EMS-Marktentwicklung, die Risiken sowie technologische Veränderungen. Wir erklären die Veränderungen anhand von echten Zahlen und besprechen, wieso kleine und große Unternehmen sich unterschiedlich entwickeln, diskutieren die Bauteilversorgung und deren Lieferregeln, besprechen die Fallen bei M&A und Recruiting, erläutern, wieso der Chip-Act uns in Europa allein nicht hilft und schauen auf die zukünftige EMS-Marktentwicklung. Zudem zeigen wir die großen Risiken bei der europäischen Leiterplattenversorgung auf und wie sich diese Leiterplattenindustrie entwickelt hat. Daher haben wir auch Leiterplattenhersteller aus dem deutschsprachigen Raum eingeladen.“
Michael Künsebeck von in4ma präsentierte dann in seinem Vortrag „Die globale EMS-Industrie, Marktkonsolidierung und Entwicklungen“ wie gewohnt akribisch erarbeitete Marktzahlen, die man sonst nirgendwo bekommt. In Europa befinden sich nach seinen Aussagen 2200 EMS-Unternehmen, das sind 6 Prozent des Gesamtmarktes. Auf Deutschland entfallen 566.
Advanced Packaging at its best
Anschließend sprach Riwan Tamic, seit Juli 2022 CEO der belgischen C-MAC Electronics, über die Entwicklungen in der Dickschichttechnologie und ging besonders auf Keramik-Substrate wie DCB (direct copper bond) für die Leistungselektronik mit besonderem Blick auf Europa ein.
Ganz im Zeichen des Advaced Packaging ging es weiter: Die Präsentation von Dr. Peter Tranitz, Senior Director Technology Solutions Advanced Packaging bei der IPC, gab einen Einblick in die gegenwärtige Lage und einen Ausblick über den European Chips Act und den Beitrag der IPC, die technologischen Lücken sinnvoll zu schließen und bei Maßnahmen mitzuwirken, ein geeignetes europäisches Halbleiter-Ökosystem aufzubauen.
Mit Bravour ins kalte Wasser gesprungen ist Dr. Mareike Haaß, seit Mai 2023 neu im Team von in4ma. Stellvertretend für Michael Gasch von Data4PCB übernahm sie die Präsentation des Originalpapiers zur Situation der Leiterplattenindustrie weltweit und in Europa, da Michael Gasch kurzfristig verhindert war. Geopolitische Veränderungen erfordern ein Umdenken in der Beschaffungspolitik und Lieferketten müssen angepasst werden. Die aktuellen Ereignisse machen deutlich, dass vorhandene Risiken neu bewertet werden sollten.
Marktkonsolidierung und M&A
Weiter ging es mit „Cash“: Matthias Holsten kennt nahezu alle mittelgroßen und größeren Unternehmen der Elektronikfertigung im deutschsprachigen Raum. Er beschäftigt sich mit der marktgerechten Positionierung von Unternehmen, analysiert die Produktionsprozesse und erarbeitet strategische Empfehlungen bei Firmenaufkäufen, Umstrukturierungen und sondiert Interessenten bei der Nachfolgeregelung für Unternehmen der Hightech-Elektronik. Aus seiner Praxis erzählte er, worauf es beim Verkauf von inhabergeführten mittelständischen EMS-Firmen besonders ankommt.
Die EMS-Branche ist in den vergangenen Jahren vermehrt in den Blickwinkel von institutionellen Investoren gerückt; in diesem Zuge stellt sich für viele EMS-Marktteilnehmer die Frage, was der Hintergrund des angestiegenen Interesses ist und wie institutionelle Investoren auf den Markt blicken. Welche Unternehmenseigenschaften erwecken ein besonders hohes Interesse? Wie ist die Herangehensweise in der Evaluation von EMS-Unternehmen? Welche Auswirkungen hat das gestiegene Interesse und insbesondere, welche Chancen und Risiken ergeben sich hieraus für die Marktteilnehmer? Der Vortrag von Simon Majer, Vice President bei der Investmentbank Raymond James, gab einen kurzen Einblick hinter die Kulissen.
Wie eine Fusion zweier Elektronikhersteller im „echten Leben“ vonstattengeht, darüber berichtete der CEO der GPV, Bo Lybæk. Vor einem Jahr fusionierte Dänemarks größter Elektronikhersteller, GPV, mit dem Schweizer Elektronikhersteller Enics. Die beiden gut geführten und in etwa gleich großen Unternehmen sind jeweils in eigenen Spezialgebieten in der Elektronikfertigung tätig und versprechen sich nun das angestrebte Wachstum. Durch den Zusammenschluss von GPV und Enics entstand ein internationaler Elektronikkonzern mit über 7.500 Mitarbeitern und einem Umsatz von mehr als 7 Milliarden DKK. Intern lag der Schwerpunkt auf der Integration und der Ausrichtung auf eine gemeinsame Organisation. Die Integrationsaktivitäten wurden in vier Quartale aufgeteilt, jedes mit spezifischen Schwerpunktbereichen. Bo Lybæk berichtete über die Herausforderungen und was GPV unternommen hat, um mögliche Risiken zu minimieren und gleichzeitig ein solides und profitables Unternehmen in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld weiterzuführen.
Einen Konjunktur- und Kapitalmarktausblick gab anschließend David Kohl, Chefökonom für die Bank Julius Bär. Nach einer Dekade von rekordtiefen Zinsen als Folge von Zurückhaltung bei Investitionen und einer übermäßigen Ersparnisbildung, sind die Zinsen in Rekordzeit auf deutlich höheres Niveau angestiegen. Sowohl die Ursachen für den rasanten Zinsanstieg als auch die Folgen bestimmen die aktuelle Konjunkturdynamik und den Ausblick für die Entwicklung an den Kapitalmärkten.
Einige Beiträge werden wir ausführlicher in der kommenden Messe-Ausgabe der productronic 5 veröffentlichen. Und falls Sie beim nächsten Mal auch gerne beim EMS-Forum dabei wären, dann bemühen Sie sich doch beim Veranstalter um eine persönliche Einladung.
Die Autorin: Dipl. Ing. Dipl. Wirt. Ing (FH) Petra Gottwald
Die Doppel-Ingenieurin (Textiltechnik und Wirtschaft) hat nur ein Ziel: Sie möchte Menschen für technische Themen begeistern – ob sie wollen oder nicht. So kommt es schon ‚mal vor, dass sie ihren Freunden die komplexe Herstellung einer Leiterplatte in einer packenden Story erzählt oder wie man Elektronik in Textilien einbaut. Privat düst sie auf leisen Sohlen durch die Gegend, denn sie hat seit 2016 ein Faible für Elektromobilität und will mit ihrem Wissen Interessierten die Reichweitenangst beim voll-elektrischen Fahren nehmen.
