EMS-Unternehmen am Scheideweg

Orientierung finden beim Verkauf

Wenn gravierende Unternehmenseinflüsse zum Nachdenken bringen, erwägt manch Elektronikfertiger auch den Verkauf des eigenen Betriebs. Matthias Holsten, Veränderungsberater in der Elektronikbranche, zeigt auf, wie man vorgeht und möglicherweise rechtzeitig einen Fachmann für den komplexen Veräußerungsprozess zu Rate zieht – damit ein derart entscheidender Schritt nicht zum Fehltritt wird.

Der Markt wächst – und mahnt Änderungen im EMS-Portfolio

Wer sich mit dem Gedanken der Veräußerung trägt, sollte die Überlegungen auch vor dem Hintergrund des aktuellen und künftigen Marktgeschehens bewerten. Trotz aller Nachteile, die Elektronikfertiger in den vergangenen Jahren erfuhren: tendenziell wächst der Markt, ungebrochen. Der jüngsten Studie des Forschungsinstitutes „Fortune Business Insight“ zufolge, sieht diese für die Branche in den kommenden Jahren bis 2029 weltweit ein durchschnittliches Wachstum von 6,8% voraus. Eine ähnliche Entwicklung wird auch durch „in4ma“ für Europa prognostiziert. Des einen Freud indes ist des anderen Leid: Treibende Branchen wie das Gesundheitswesen, die E-Automobilindustrie und die klassisch deutsche Industrie, bringen eine wachsend hohe Nachfrage an elektronischer Fertigung mit sich. Sie wird vornehmlich von mittelgroßen und großen EMS-Unternehmen bedient. Bei kleineren Fertigungsdienstleistern kommt da vergleichsweise wenig an. Hierzulande zeigt sich auch, dass eine sich verändernde Haltung im Hinblick auf den sorgsamen Umgang mit Ressourcen sowie der weitere Einstieg der Digitalisierung in bisher noch mechanisch getriebene Systeme, es weiter zu vermehrt elektronischen Anwendungen und Fertigung umweltfreundlicher Produkte kommen wird. Eigentlich eine Chance für alle EMS-Anbieter, an künftigen Wachstumssegmenten teilzuhaben.

Doch ob kleinere und mittelständisch geprägte EMSler davon ausreichend profitieren, ist fraglich, denn Marktveränderungen haben ihren Preis: Die fortschreitende Konsolidierung des Marktes setzt kleinere EMS-Anbieter unter Druck, die rein klassische Bestückung ist obsolet. Spezialisierung tut not, um nicht im Stückpreiskampf zu unterliegen. Bahnen sich zudem mit neuen Chancen im Markt für einen EMS-Dienstleister zugleich notwendige Wandlungsprozesse an (Implementierung von IoT, KI in der Fertigung und in Managementprozessen) sind gegebenenfalls seine Unternehmens- und Fertigungsstrukturen in den Grundfesten zu verändern. Sie fordern ihn möglicherweise über Ausweitung von Produktionskapazitäten, die Implementierung neuer Fertigungstechnologien und über bedarfsgerechte Anpassung der Dienstleistungspalette nachzudenken. Die Folge: Eine gewaltige Umstellung für viele Inhaber von EMS-Betrieben, zumeist verbunden mit hohen Investitionen. Sie zu stemmen, dürfte viele Mitbewerber überfordern.

Spätestens jetzt sind Unternehmensinhaber gefordert, sich die Frage zu stellen, ob eine Veräußerung nicht die bessere Lösung wäre.

Verkauf des Unternehmens – wie geht man es sinnvoll an?

In aller Regel richtet sich das Angebot zur Unternehmensübernahme an Interessenten, die auf eine Fusion mit einem bestehenden Unternehmen aus sind. Dies kann beim Käufer das Ziel der Stärkung der Marktposition im seinem Geschäftsfeld sein, insbesondere bei größeren Unternehmen. Denkbar ist für ihn auch, in der Ausgestaltung des eigenen Portfolios autonomer werden zu wollen, mit der Prämisse, die Elektronikfertigung im eigenen Unternehmen anzusiedeln. Oder schlichtweg mit dem Ziel, zu diversifizieren, von einem gänzlich anderen, prosperierenden Geschäftsfeld zu profitieren.

So unterschiedlich, wie die Kaufabsichten sind, zeigen sich auch die Gründe, nach reiflicher Überlegung das eigene EMS-Unternehmen zu veräußern:

  • Fachspezifische Handicaps, die sich im Laufe von Jahren eingeschlichen haben, auf die das Unternehmen nun eine Antwort geben muss: enormer Bestandsaufbau mit der Folge hoher Kapitalbindung, Investitionsstau über eine lange Zeit, zu geringe Fertigungstiefe, andauernder Fachkräftemangel, Allokationszyklen in kurzer Folge, zu kleines Unternehmen, um qualitativ und preislich mithalten zu können.
  • Äußere Einflüsse, denen man fremdbestimmt ausgeliefert ist: wachsende Inflation, unkalkulierbare Zinssteigerung, Pandemiemüdigkeit
  • Hohe Einbindung des Unternehmensinhabers in den laufenden Geschäftsprozess, vor sich hergeschobene Altersnachfolgeregelung

    Hieran zeigt sich, dass Angebot und Nachfrage nicht zwangsläufig deckungsgleich sind, dass ein gewisses Fingerspitzengefühl erforderlich ist, die Komplexität des Veräußerungsprozesses richtig anzugehen:
  • Wie formuliert man das Angebot, was ist der USP, die Einzigartigkeit der Unternehmensleistung?
  • Worin steckt die Rentabilität des Unternehmens?
  • Wie findet man die passenden Interessenten?
  • Wann beginnt man mit der Akquisition?
  • Wie bewertet man die bisweilen sehr unterschiedlichen Kaufangebote?
  • Bis wann muss das Unternehmen verkauft sein?

In der Regel stehen Inhaber mittelgroßer und kleinerer Unternehmen nur einmal im geschäftlichen Leben vor der Entscheidung, den eigenen Betrieb zu veräußern. Das setzt voraus, besonnen vorzugehen, sich so am Markt zu präsentieren, dass das Unternehmen bestmöglich veräußert wird und möglichst am Markt weiter fortbesteht. Um vor lauter Bäumen den Blick für den Wald, für das Wesentliche nicht zu verlieren, empfiehlt es sich, die Anbahnung des Geschäfts mit fachlicher Begleitung anzugehen.

Hier hat sich das M&A-, das Merger & Acquisition-Geschäft als Beratungsleistung von der Großagentur bis zum Einzelberater etabliert. M&A-Agenturen widmen sich zumeist Großunternehmen mit komplexer steuerlicher und juristischer Bewertung, ähnlich einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Mittelständische EMS-Unternehmen hingegen sind besser mit M&A-Beratern bedient, deren Unternehmensbewertungen vornehmlich auf fachspezifischem Know-how beruhen. Genau das, was ein Kaufinteressent erwartet, weil die Grundlage der Bewertung seinem Metier entspricht. Nicht umsonst tendieren große M&A-Agenturen auch dazu, die rein fachspezifische Bewertung als Unterauftrag an EMS-Berater zu vergeben.  

Hilfe tut not: Der EMS-Markt ist weiterhin von Konsolidierung geprägt. Zwischen den großen und kleinsten Unternehmen der Branche, sind es vornehmlich Unternehmen zwischen 5 und 50 Mio. € Umsatz, die fachspezifische M&A-Beratung benötigen.

Zwischen Wunsch und Wirklichkeit – die wahre Wertung finden

Jeder Veräußerungsprozess beginnt mit der Frage: Was ist mein Unternehmen wert? Nicht selten klaffen Wunsch und Wirklichkeit auseinander, insbesondere, wenn Inhaber kleinerer EMS-Unternehmen davon ausgehen, dass ihr in Jahrzehnte investiertes Herzblut sich im Verkaufspreis niederschlagen müsste. Doch in der Regel geht jeder Kaufinteressierte ziemlich nüchtern aus Zahlenwerk, um zur Kaufentscheidung zu gelangen:

Ermittlung der Rentabilität

a. Aufstellen des Ertragsergebnisses vor Steuern und Abschreibungen auf Sachanlagen und immateriellen Werten, ist nach EBITDA aus der laufenden
Geschäftstätigkeit zu ermitteln

b. Ausblick auf mögliche Gewinne und Wachstum, Prognose nach Discount Cash Flow

Was ist die Grundlage, die bewertbare Substanz?

a. feste Werte: Maschinenpark, Immobilie, andere Sachwerte, Expansionsmöglichkeiten (Gebäude)

b. weiche Faktoren: Vertriebs- und Kundenstruktur, fachliches Know-how, Expansion (Situation Personal Recruitment)

Dem M&A-Berater erlaubt das Zahlenwerk einen soliden Vergleich mit branchenähnlichen Unternehmen. Das Ergebnis gibt beiden Seiten, Verkäufer und Käufer, nachprüfbare Sicherheit bei der Einschätzung des Unternehmenswertes und der Verkaufsaussichten. Die Ermittlung des besten Verkaufszeitpunktes gehört ebenfalls dazu.

Den Acker zur Übergabe bestellen: Insbesondere kleineren EMS-Dienstleistern fehlt bisweilen die Perspektive, sich die Fortführung des Unternehmens nach dem Verkauf vorzustellen. Gerade dann, wenn der Inhaber noch weitgehend im Tagesgeschäft eingebunden ist. Versierte M&A-Berater zeigen Szenarien auf, wie im Prozess eingebundene Inhaber sich ausschleichen können, wie der Aufbau eines bislang fehlenden entlastenden Managements als Unterbau mit der Veräußerung gut gelingen kann.

Ein Unternehmensverkauf sollte niemals unter Zeitdruck geschehen. Zwischen dreieinhalb und fünf Jahren bedarf ein solider Veräußerungsprozess.

Oft sträflich vernachlässigt – die richtige Informationspolitik Merke: Wer sein Unternehmen veräußern will, gibt viel von sich preis, wird transparent. Das gesamte Vorhaben, von der Akquisition geeigneter Interessenten, der Selektion und Prüfung der Angebote bis zur Vertragsunterzeichnung sind nach außen äußerst diskret zu halten. Kommt es zu früh ans Licht, platzt womöglich ein Deal, ist ein Unternehmen am Markt möglicherweise „verbrannt“. Es gilt, bei der Publikation des Vorhabens erst nach Vertragsunterzeichnung schrittweise vorzugehen:

  1. Unternehmensintern: Einweihung wichtiger Personen (oberes Management, Abteilungsleiter, Entscheidungsträger), nach Verabschiedung des Veräußerungskonzepts
  2. Information an die gesamte Belegschaft: nach Vertragsunterzeichnung zur Transformation
  3. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: zeitgleiche Publikation an die Medien, an Interessenverbände, Organisationen und Kunden

Es empfiehlt sich, in konzertierter Form zwischen Käufer und Verkäufer die Etappenziele der Transformation offenzulegen, ebenso damit verbundene Neubesetzungen im Unternehmen, Änderungen von Rechtsverhältnissen, förderliche Investitionen, Umstrukturierungen und Prognosen zur künftigen Unternehmensentwicklung. Auch in dieser wichtigen Phase der Übergabe kann der M&A-Berater fachlich begleitend zur Seite stehen – den Gesamtprozess der Veräußerung auf den richtigen Weg zu bringen.

19. Oktober 2023

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